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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 04.09.2021


SCHACHNOVELLE - Kinostart: 23. September 2021
AVIVA-Redaktion

Zwischen September 1941 und Februar 1942, in Petrópolis, Brasilien am letzten Ort seines Exils und kurz vor seinem Suizid, schrieb Stefan Zweig mit der "Schachnovelle" ein Werk, das bis heute nichts von seiner politischen Brisanz verloren hat.




Wien, 1938: Österreich wird von den Nazis besetzt. Kurz bevor der Anwalt Bartok mit seiner Frau Anna in die USA fliehen kann, wird er verhaftet und in das Hotel Metropol, Hauptquartier der Gestapo, verschleppt. Als Vermögensverwalter des Adels soll er dem dortigen Gestapo-Leiter Böhm Zugang zu Konten ermöglichen. Da Bartok sich weigert zu kooperieren, kommt er in Isolationshaft. Über Wochen und Monate bleibt Bartok standhaft, verzweifelt jedoch zusehends – bis er durch Zufall an ein Schachbuch gerät.

STEFAN ZWEIG UND SEIN LETZES WERK

Ein Text von Prof. Dr. Klemens Renoldner

Vorgeschichte

Im Februar 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland, verließ Stefan Zweig Österreich. Grund dafür sind die enormen NS-Sympathien und der Antisemitismus in Österreich. Sechseinhalb Jahre lebte er in England. Von Sommer 1940 bis Anfang Januar 1941 hielt er sich in Brasilien auf, anschließend, bis August 1941, in den USA. Hier arbeitete er vor allem an seiner Autobiographie "Die Welt von Gestern", die er im Juli 1941 in erster Fassung niederschrieb.

Entstehung der "Schachnovelle"

Am 15. August 1941 verlassen Stefan Zweig und seine zweite Ehefrau Lotte New York mit dem Schiff. Es ist auch jene Seeroute, die in der "Schachnovelle" beschrieben wird: New York-Buenos Aires. Das Ehepaar Zweig fährt jedoch nur bis Rio de Janeiro. Drei Wochen halten sie sich in Rio auf, ab Mitte September 1941 wohnen Lotte und Stefan Zweig in der Stadt Petrópolis, 70 km nördlich. An diesem letzten Ort seines Exils schreibt Stefan Zweig zwischen September 1941 und Februar 1942 die "Schachnovelle".

Die Idee entsteht während der Schiffsreise. Am 17. September 1941 – es ist der erste Tag in Petrópolis – berichtet Zweig in einem Brief, er "plane" eine "abseitige Novelle". Am 28. Oktober 1941 schreibt er an Berthold Viertel, er habe "eine kuriose Novelle entworfen … mit einer eingebauten Philosophie des Schachs. Ich habe sie aber noch nicht abgeschlossen." Am 30. Januar 1942 teilt er Viertel mit, dass er "eine aktuelle längere Erzählung" verfasst habe.

Am 6. Februar 1942 bittet er Ernst Feder, einen Berliner Journalisten, der ebenfalls in Petrópolis im Exil ist und mit dem Zweig gelegentlich Schach spielt, die vorläufige Fassung der "Schachnovelle" kritisch durchzusehen, auch um eventuelle Fehler, die Regeln des Schachspiels betreffend, auszubessern. Bereits am 10. Februar wird das Manuskript zurückgegeben, in sein Tagebuch notiert Feder an diesem Tag, "er (Zweig) ist entzückt über die vielen Anmerkungen."
Am Vormittag des Samstags, 21. Februar 1942, bringt Stefan Zweig drei Typoskripte der "Schachnovelle" zum Postamt in Petrópolis, für die deutsche, amerikanische und argentinische Ausgabe. Ein viertes Typoskript bleibt in Brasilien für die Übersetzung in Rio de Janeiro.
Am Sonntagabend, 22. Februar 1942 nehmen Lotte und Stefan Zweig eine Überdosis Veronal. Sie sterben in der Nacht von 22. auf 23. Februar. Am 24. Februar werden sie am städtischen Friedhof von Petrópolis beigesetzt.

Hintergrund

Die "Schachnovelle" entsteht gleichzeitig wie der (Fragment gebliebene) Österreich-Roman "Clarissa" und die Erinnerungen "Die Welt von Gestern". Während seiner Exil-Jahre befasst sich Zweig intensiv mit seinen Wiener Jahren und dem Verlust seiner Heimat Österreich. Auf die Zerstörung der europäischen Demokratien durch autoritäre Regierungen und Faschismus reagierte Zweig mit der Beschwörung des alten Wiens als kosmopolitischer, kultureller Metropole. Damit verbunden sind auch Erinnerungen an die eigene ungebundene Lebensform in den europäischen Freundeskreisen.
Dr. B. – so heißt der katholische Anwalt im Text bei Zweig – ist zwar kein autobiographisches Alter-Ego des Verfassers, aber doch ein Repräsentant jener Welt von Gestern. Dr. B. ist humanistisch gebildet, seine Familiengeschichte verweist (bei Zweig) auf Verbindungen zum Kaiserhaus und zum Freundeskreis Franz Schuberts. Diese ideale Welt von Kultur und Intellektualität wird im März 1938 von den Nationalsozialisten auf brutale Weise zerschlagen.

Zweig war schon in England, später auch in New York, dann in Rio, mit vielen Emigranten in persönlicher Verbindung. Er wusste durch zahlreiche persönliche Berichte und Briefe, was ab 1933 in Deutschland geschah, und ab dem März 1938 in Wien und Österreich. Er wusste nicht nur von den Konzentrationslagern, sondern auch von der "Gestapo-Leitstelle Wien", die im früheren Luxus-Hotel Métropole untergebracht war, nun ein Ort des NS-Terrors, der wegen der brutalen Verhörmethoden und Folterungen gefürchtet war.

Zweig hat sich natürlich mit Literatur zum Thema "Schach" versorgt, insbesondere war ihm das Buch von Savielly G. Tartakower "Die hypermoderne Schachpartie" (1924) behilflich. Er selbst spielte auch seit seinen jungen Jahren in Wien Schach. Erstaunlicherweise spielte er sogar am Abend vor seinem Suizid mit Ernst Feder noch zwei Partien, die er jedoch beide verlor.
Wie wichtig für Zweig die "Schachnovelle" war, kann man daran erkennen, dass er diesen Text, im Gegensatz zu mehreren anderen Manuskripten, die Fragment geblieben sind, zu Ende bringen wollte. Die "Schachnovelle", in der viele ein Vermächtnis des 60-jährigen Autors sehen, besitzt deswegen einen besonderen Stellenwert innerhalb des erzählerischen Werks, weil Zweig hier ein einziges Mal die unmittelbare Zeitgeschichte, die Verbrechen des Nationalsozialismus zum Thema macht.

Nachdem alle deutschsprachigen Ausgaben der "Schachnovelle" (1942 Buenos Aires, 1943 Stockholm, div. Ausgaben nach dem Krieg, Frankfurt am Main) viele eigenwillige Änderungen und Eingriffe in den Text aufweisen, konnte 2013 im Reclam-Verlag erstmals der unveränderte Originaltext der Erzählung veröffentlicht werden, in jener Fassung, die Zweig am 21. Februar 1942 in Petrópolis zur Post gebracht hat.

Prof. Dr. Klemens Renoldner ist Gründungsdirektor des "Stefan Zweig Zentrums" der Universität Salzburg. Er leitete dieses Forschungs-Institut von 2008-2018. Er ist Herausgeber der kommentierten Ausgabe der "Schachnovelle" (2013, Reclam-Verlag), der neuen Edition des erzählerischen Werkes von Stefan Zweig (seit 2017, Zsolnay-Verlag) und des Stefan Zweig-Handbuches (de Gruyter-Verlag, 2018).

SCHACHNOVELLE: Ein zeitloser Stoff

Gegenwärtig erscheint die "Schachnovelle" in Deutschland in der 69. Auflage im Verlag FISCHER Taschenbuch. Sie wurde mehrfach als Hörbuch oder Hörspiel umgesetzt. Eine aktuelle Version erschien 2009 mit Christoph Maria Herbst als Sprecher.

Die erste Kinofassung des Literaturklassikers entstand 1960 unter der Regie des deutsch-amerikanischen Filmemachers Gerd Oswald. In den Hauptrollen waren Curd Jürgens und Mario Adorf zusehen. Der Film feierte seine Premiere im Wettbewerb um den Goldenen Löwen auf dem Internationalen Filmfestival in Venedig. Später fand die Geschichte auch ihren Weg ins Theater. 2004 verfasste der österreichische Schriftsteller Helmut Peschina eine erste Bühnenfassung, die auch heute noch auf vielen deutschen Bühnen als Vorlage genutzt wird. Daneben gibt es zahlreiche weitere Neuinszenierungen und -interpretationen Stefan Zweigs zeitloser Geschichte. Der spanische Komponist Cristóbal Halffter komponierte 2012 beispielsweise für das Kieler Opernhaus eine Oper zur "Schachnovelle", die 2013 uraufgeführt wurde.

In anderen künstlerischen Bereichen hinterließ die "Schachnovelle" ebenfalls ihre Spuren. Die deutsche Malerin und Grafikerin Elke Rehder setzte sich in ihren Arbeiten mehrfach mit dem berühmten Buch auseinander. Es entstanden neben Grafiken aus Farbholzschnitten, die in illustrierten Büchern und Zeitschriften veröffentlicht wurden, auch Gemälde auf Leinwand. Und 2016 stellte der in London lebende französische Grafikkünstler Thomas Humeau eine erste Comicroman-Fassung der "Schachnovelle" vor. Der Autor hält sich dabei sehr nahe an Zweigs Vorlage.

Bis heute gibt es von Stefan Zweigs Meistererzählung kein einmaliges Original. Einen Tag vor seinem Tod gab der Autor drei Postsendungen auf. Zwei gingen nach New York, eine nach Buenos Aires. Sie enthielten jeweils ein Typoskript der letzten vollendeten Erzählung. Lange wurde über ein viertes Typoskript gerätselt. 2002 kam dieses aus dem Londoner Nachlass Stefan Zweigs als Geschenk in die New Yorker State University of Fredonia.

Für SCHACHNOVELLE konnte Regisseur Philipp Stölzl (Ich war noch niemals in New York, Der Medicus, Nordwand) eine beeindruckende Besetzung gewinnen. Neben Hauptdarsteller Oliver Masucci (Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, Werk ohne Autor, "Dark", Er ist wieder da) sind Albrecht Schuch (Berlin Alexanderplatz, Systemsprenger, "Bad Banks"), Birgit Minichmayr (3 Tage in Quiberon, Die Goldfische, Alle Anderen) und Rolf Lassgård (Ein Mann namens Ove) Teil des herausragenden Ensembles.

Philipp Stölzl auf die Frage danach, ob die Themen der "Schachnovelle" auch heute noch Aktualität haben: "Wir haben in Deutschland eine Erinnerungskultur. Dieser Grundgedanke, niemals zu vergessen, gilt auch heute noch. Und es wird hoffentlich in den kommenden Jahrzehnten noch so sein, dass man sagt: ´Es ist so unbegreiflich und so unfassbar, was mit diesem, doch vorher recht zivilisierten Land passiert ist.´ Die ständige Erinnerung daran, dass so etwas nie wieder passieren darf, tut gut und soll seine Wichtigkeit behalten. Unter diesem Aspekt hat die Verfilmung der "Schachnovelle" ihren Wert und Sinn. Und jetzt, in der COVID-19-Pandemie, hat natürlich auch das Thema Isolation einen aktuellen Bezug erhalten."

SCHACHNOVELLE - Kinostart: 23. September 2021
Regie, Drehbuch Mitarbeit, Executive Producer: Philipp Stölzl
Besetzung:
Oliver Masucci (Dr. Josef Bartok)
Albrecht Schuch (Franz-Josef Böhm & Mirko Czentovic)
Birgit Minichmayr (Anna Bartok)
Rolf Lassgård (Owen McConnor)
Andreas Lust (Johann Prantl)
Samuel Finzi (Alfred Koller)
Lukas Miko (Gustav Sailer)
Joel Basmann (Barkeeper Willem)
Johannes Zeiler (Dr. Fink)
Maresi Riegner (Dienstmädchen Klara)
Luisa-Céline Gaffron (Fridl)
Moritz von Treuenfels (Schutzmann Erich)

Technik
Gunnar Voigt (Tonmeister)
Tanja Hausner (Kostümbild)
Thomas W. Kiennast (Bildgestaltung)
Matthias Müsse (Szenenbild)

STAB
Produzenten: Philipp Worm und Tobias Walker
Koproduzent*innen: Danny Krausz / DOR Film, Kalle Friz (Studio Canal), Sandrine Mattes (Studio Canal), Isabel Hund (Studio Canal), Christine Strobl (ARD Degeto)
Bildgestaltung: Thomas W. Kiennast
Szenenbild: Matthias Müsse
Editor: Sven Budelmann
Kostümbild: Tanja Hausner
Makeup & Hair Design: Daniela Skala
Tonmeister: Gunnar Voigt
Musik: Ingo Ludwig Frenzel
Casting: Simone Bär
Herstellungsleitung: Jakob Neuhäusser, Florian Krügel
Re-Recording Mixer: Martin Steyer
Redaktion: Claudia Grässel (ARD Degeto), Sebastian Lückel (ARD Degeto), Carlos Gerstenhauer (BR), Tobias Schultze (BR), Klaus Lintschinger (ORF), Bernhard Natschläger (ORF)

Länge: 1 Std. 51 Min.
FSK: ab 12
Der Trailer ist online unter: www.youtube.com, www.facebook.com/ARTHAUS und www.instagram.com/arthaus.de

Literatur

SCHACHNOVELLE von Stefan Zweig
Taschenbuch erschienen bei FISCHER Taschenbuch

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
ISBN: 978-3-596-90225-5
112 Seiten
UVP: 10,00€ (D)

SCHACHNOVELLE von Stefan Zweig
Hörbuch gelesen von Christoph Maria Herbst


Alle Bücher von Stefan Zweig

www.fischerverlage.de

SCHACHNOVELLE wurde produziert von Walker + Worm Film (Philipp Worm und Tobias Walker) in Koproduktion mit der österreichischen DOR Film (Danny Krausz) und STUDIOCANAL Film (Kalle Friz, Isabel Hund, Sandrine Mattes) sowie ARD Degeto (Koproduzentin: Christine Strobl, Redaktion: Claudia Grässel, Sebastian Lückel), BR (Redaktion: Carlos Gerstenhauer, Tobias Schultze) und in Zusammenarbeit mit ORF (Film/Fernseh-Abkommen, Redaktion: Klaus Lintschinger, Bernhard Natschläger). Der Film wurde gefördert durch: FilmFernsehFonds Bayern, Medienboard Berlin-Brandenburg, Filmförderungsanstalt, Deutscher Filmförderfonds, FISA – Filmstandort Austria, Österreichische Filminstitut und Filmfonds Wien sowie finanziert durch Bayerischer Bankenfonds.


Quelle: STUDIOCANAL GmbH.


Kunst + Kultur

Beitrag vom 04.09.2021

AVIVA-Redaktion